Come back stronger
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„Endlich ist es raus!“ Sophia Thiel, eine der bekanntesten deutschen Fitness-Influencerinnen Deutschlands (ca. 1,3 Mio. Follower bei Instagram, über 1 Mio. Follower auf YouTube), hat eine Ess-Störung. Das ist der wahre Grund hinter ihrer fast 2-jährigen Auszeit.
Im Februar 2021 hatte sich die 26-Jährige erstmals wieder per YouTube zu Wort gemeldet und von ihrer Flucht nach Los Angeles berichtet. Dort wollte sie zur Ruhe kommen, sich neu sortieren, eine Auszeit nehmen. Der ganze mediale Rummel um ihre Person sei ihr zu viel geworden.
Kürzlich, im April 2021, wird die Fitness-Influencerin noch deutlicher und spricht über ihre Ess-Störung, den Erfolgsdruck und die Notwendigkeit für ihren Rückzug. Vom Mobbel zum Model, nahm sie in 3 Jahren 20 bis 30 kg ab, inspirierte durch YouTube und Fitness-Programme, glänzte auf x Fitness-Events und Titelseiten von Magazinen und veröffentlichte 4 Bücher zu Fitness und Ernährung in nur 4 Jahren. Ob eigenes Magazin, Fitness-Kollektion oder Kosmetikserie, Sophia Thiel konnte alles vorweisen. Unmittelbar vor ihrer Auszeit hatte sie 11 Projekte gleichzeitig laufen und führte doch ein Doppelleben: Innerlich hatte sie schon länger keine Freude mehr an vielen Dingen, äußerlich ging das Hamsterrad weiter, in dem sie mit eiserner Disziplin versuchte, die Dinge wieder in den Griff zu kriegen. Während ihrer Auszeit wird ihr mit fachkundiger Hilfe deutlich (durch Psychotherapeuten, Ärzte und Experten), dass sie bestimmten schädlichen Mustern in ihrem Leben folgt(e) – wie wir alle ab und an einmal. (Dass sie schädlich sind, merkt man meist erst, wenn Dinge vor den Baum laufen.)
Das Phänomen, dass Fitness-Begeisterte und Fitness-Influencer*innen mitunter an Ess-Störungen leiden, ist nicht neu. Neu aber ist, dass sich in den letzten 4-5 Jahren immer mehr dieser Personen des öffentlichen Lebens getraut haben, ihre Probleme auch öffentlich zu machen. Sich getraut haben, auf den Erfolgsdruck in der Branche und das allzeit nötige happy Pokerface bei den Social-Media-Plattformen hinzuweisen. Und die sich vorgenommen haben, ein anderes, authentischeres Bild von sich zu zeigen, mit Ecken und Kanten, Dellen und Pickeln, jenseits der retouchierten PhotoShop-Bilder, wo weder Falten noch Fett, Schwangerschaftsstreifen noch Cellulite, Schweiß noch Tränen zu sehen sind. Nur stets strahlende Schönheiten, die es schaffen – natürlich perfekt gestylt(!) –immer gut gelaunt und körperlich durchtrainiert durchs Leben zu laufen – welche Realitätsferne!
Das falsche Bild, was den heutigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen multi-medial auf vielen Kanälen vor Augen geführt wird, hinterlässt bei den Followern öfter als gedacht deutliche Spuren. Zugegeben gab es den Schönheits- und Fitnesswahn auch früher schon, nur da eben noch begrenzt auf Zeitschriften und Modelkarrieren. Heute ist die ganze Generation der Digital Natives so permanent diesem Druck der ständigen Selbstpräsentation durch Soziale Medien, durch einschlägige Fernsehshows und durch ihre Peergroups ausgesetzt, dass es krank und süchtig machen kann. Selfpromotion sells, nicht nur Sex sells!
Kein Wunder also, dass eine ganze Generation es schwer hat, nicht selbstverliebt und narzisstisch falschen Idealen hinterherzulaufen und dabei seelisch zu verkümmern bzw. psychisch auffällig zu werden.
Und genau hier setzt die Rosenheimerin an. Sie bekennt sich offen zu ihren Problemen, sagt, dass sie sich professionelle Hilfe gesucht hat, und möchte der Psychotherapie das Stigma nehmen. Zudem will sie sich zukünftig für das Thema mentale Gesundheit stark machen. Sie beschreibt in ihrem neuesten Buch „Come back stronger“ ihren Weg aus der Ess-Störung und lässt dort auch Experten zu Wort kommen.
Doch nicht nur die Bekenntnisse der Sophia Thiel läuten hier einen hoffentlich gesunden Paradigmenwechsel ein. Denn glücklicherweise gibt es seit einigen Jahren auch eine Gegenbewegung auf Instagram, YouTube und diversen Sozialen Medien: Man setzt auf Fitness in gesundem Maß (z. B. Anne Kissner von BodyKiss) oder auf Body Positivity statt Body Shaming. Auch der Sinneswandel der Influencerin Louisa Dellert ist bemerkenswert. Sie eiferte zunächst den Instagram-Models nach und entwickelte dabei ebenfalls eine Ess-Störung. Über den Umweg als Fitness-Bloggerin und Influencerin mit einer Kampagne zur Selbstliebe landete sie schließlich bei den Themen Nachhaltigkeit und Politik.
Wobei die Notwendigkeit einer gesunden Selbstliebe nicht erst in den Sozialen Medien von heute thematisiert wird. Die Body-Shop-Gründerin Anita Roddick – Feministin, Menschenrechtsaktivistin und umtriebige Unternehmerin – kämpfte bereits 1997 mit der Kampagne „Self Estimation“ (Selbstwertschätzung) und der Puppe Ruby für die Vermittlung eines neuen Körperideals in der Schönheitsindustrie. Schön ist man nicht nur mit den Idealmaßen, sondern mit seinem ganzen Körper, wie perfekt oder unperfekt er auch sein mag. Auch aktuell hat der Body Shop eine Kampagne zur Selbstliebe auf seiner Webseite laufen.
Indessen darf man darf gespannt sein, wie die Fitness-Influencerin Sophia Thiel ihren neuen Weg weiterverfolgt, und ob es ihr gelingt, ihre Follower auf diesem Weg mitzunehmen: Weg von „mein Körper ist ein Arschloch“, hin zu „mein Körper ist mein Teamkamerad“, wie sie selbst in einem You-Tube-Video sagt, und „damit geht es doch ein bisschen besser“. Freilich nicht, ohne dass sie damit auch einiges an Geld verdient … Wobei sie sich in ihrer Auszeit gesagt hat: „Entweder, ich finde einen Weg mit all dem umzugehen, oder, ich lasse es mit den Sozialen Medien sein …“
Nun hat sie also ihr Comeback gewagt, was mittlerweile auch bei seriösen Fernsehsendern, wie dem RBB und der ARD, zu Fernsehauftritten geführt hat und zu einem ehrlichen Statement der Fitness-Influencerin.
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